Bild "Industriestadt"


Durch die Größe und die zentrale Position im Gesamtwerk sowie dem roten Himmel fällt das zentrale Bild ins Auge. Im Mittelpunkt des Bildes -sowohl im Bildmittelpunkt als auch in der geometrischen Mitte des Bildes- steht ein junges, offensichtlich in ihrem (Berufs-) Leben erfolgreiches Paar. Sie  tragen Business-kleidung, stehen mit beiden Beinen fest im Leben und scheinen den Betrachter direkt anzusehen; ihre Umgebung würdigen sie keines Blickes. Zu ihren Füßen sitzt ein kleiner Yorkshire-Terrier. Das Paar steht auf einer Straße in einer Straßenschlucht  einer Großstadt, deren Aufbau an den Time Square in New York erinnert. Die Grundlage der Häuser wurde mit Zeitungsausschnitten und Werbung von Konsumgütern als Collage gestaltet, die darüber gelegte blau-grüne Farbe gibt den Gebäuden Plastizität.

 

Hinter den beiden Menschen ist ein leuchtend weißer Zebrastreifen zu sehen, der für die Sicherheit und Ordnung steht, in der die Menschen in den Industrienationen leben und die für sie alltäglich und selbstverständlich ist. Weiter hinten ist ein gelbes Taxi zu sehen, das symbolisch für die Möglichkeit steht, jederzeit überall hinzugelangen, wenn man die erforderlichen finanziellen Mittel besitzt. Auch hierfür stehen die in leuchtenden Farben gehaltenen Geldscheine, die scheinbar achtlos wegge-worfen verteilt vor dem Paar auf der Straße liegen.


Der Horizont ist absichtlich niedrig angelegt, um den Betrachter in eine leichte Froschperspektive zu versetzen und die zentralen Figuren (über-) groß erscheinen zu lassen. Dieser Eindruck wird durch das (Miss-) Verhältnis des zentralen Paares zu den Häusern und den im Vordergrund befindlichen kleinen, bläulichen Flüchtlingen noch verstärkt, die aus dem Bild „Zentralafrika“ in das zentrale Bild klettern. Bezogen auf die Menschen und den Hund wurde die sogenannte Bedeutungsperspektive angewendet, bei der die Größe der dargestellten Figuren und Gegenstände von ihrer Bildbedeutung abhängt, nicht von den räumlich-geometrischen Gegebenheiten. Die Bedeutungsperspektive findet auch bei den übrigen Menschen im Bild Anwendung: An den Hochhäusern rechts und links befinden sich –wesentlich kleiner als das zentrale Paar, aber etwas größer als die Flüchtlinge aus dem Vordergrund – noch ein alter Mann, eine alte Frau, ein Punker und eine schwangere Frau mit Kinderwagen. Durch die ausschließliche Verwendung der Farben Blau, Rot und Weiß wirken sie wesentlich dezenter als das eher naturalistisch dargestellte übergroße Paar im Bildzentrum. Sie scheinen regelrecht mit dem Hintergrund zu verschmelzen und sind für das zentrale Paar nahezu unsichtbar. Im Vordergrund kehrt ein ebenfalls in unauffällige Blau-Rot-Töne gehaltener Straßenkehrer von seiner Umwelt unbeachtet Müll aus dem Bild hinaus in das Bild „Südamerika“.


Die rote Farbe des Hintergrunds lenkt den Fokus der Wahrnehmung auf dieses größte Bild der Reihe und unterstützt dessen warnende Aussage. Die im oberen Bereich angedeutete übergroße Uhr weist als Vanitas-Symbol  auf die Vergänglichkeit des menschlichen Seins („Memento mori“) hin und gibt gleichzeitig durch ihre Übergröße die besondere Bedeutung wieder, die die Zeit in der Industriegesellschaft hat („Zeit ist Geld“). Das Auge blickt den Betrachter eindringlich an und beobachtet ihn und sein Verhalten genau. Es soll den Betrachter dazu bringen, sich selbst und sein eigenes Konsumverhalten zu betrachten. Als eines der Sinne steht das unauffällig, doch eindringlich in den Hintergrund integrierte Auge damit für das menschliche Bewusstsein – wie oft konsumieren wir Dinge, ohne uns Gedanken darüber zu machen, unter welchen Umständen sie uns zur Verfügung gestellt wurden.


Als Zeitungsausschnitte wurden teilweise Bilder von Konsumgütern (Autos, Tablet, Smartphone, Schmuck, Fotoapparat), aber auch Fotos zu Schönheitsidealen (volle Lippen, schöne Frauen und Männer (Modells), Schriftzüge „You are so beautiful“, „Neues für Augen, Lippen & Nägel“) und Genuss (Alkohol) verwendet. Neben Symbolen des Kapitalismus (Großstadtszenen, Geldscheine, Schriftzüge „Wirtschaft“, „Beruf und Karriere“) kommen auch Bilder zu (vermeintlichen) Auswirkungen des Konsums und des Strebens nach Geld (verzweifelter Mann, Schriftzüge „Glück“, „psychische Erkrankung“) zum Einsatz.


Letztlich wurden auch Ausschnitte verwendet, über die der Betrachter besonders nachdenken sollte:

  • Friedhof für Haustiere, Tiere suchen ein Zuhause: Welche Stelle nimmt ein Haustier in unserer Gesellschaft ein? Ist ein Tierfriedhof erforderlich und angemessen oder mit Blick auf die Probleme der Welt eher ein unverhältnismäßiger Luxus?
  • Bewusster Einsatz von Antibiotika: Nutzen wir Antibiotika tatsächlich nur, wenn wir sie brauchen oder eher dann, wenn wir meinen, dass wir sie brauchen? Steht der Einsatz von Medikamenten „nach Gefühl“ im Verhältnis zum Mangel an Medikamenten in der Welt? Wie vielen Menschen in der dritten Welt könnten einfache Antibiotika das Leben retten, wenn sie dort nur zur Verfügung ständen?

 

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